Mehr Rechtssicherheit für sanierungsfähige Unternehmen

Die Bedeutung der Fortführungsprognose

Der durch das Finanzmarkstabilisierungsgesetz wieder eingeführte „modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff“ wird über den 31.12.2010 hinaus um drei Jahre bis zum 31.12.2013 verlängert. Der Bundesrat hat am 18. September 2009 den Weg für ein Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung freigemacht.

Quelle: BMJ-Pressemitteilung vom 18. September 2009

I. § 19 Abs. 2, Satz 1 InsO / Überschuldung

– aktuelle Fassung –

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“

Sah die alte Fassung der Gesetzesregelung noch die Möglichkeit vor, bei überwiegender Wahrscheinlichkeit der Unternehmensfortführung zu going – concern – Ansätzen bewerten zu dürfen, formuliert der Gesetzgeber in der aktuellen Fassung § 19 Abs. 2 InsO keine Bewertungsrelevanz für den Überschuldungstatbestand mehr. Vielmehr eliminiert eine positive Fortführungsprognose – es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich – die Überschuldung.

Geschäftsführer / Vorstände sind dann nicht mehr verpflichtet, bei rechnerisch festgestellter Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei negativer Fortführungsprognose ist durch eine aktuelle Überschuldungsbilanz – Bewertung ausschließlich nach Liquidationswerten unter Einbeziehung stiller Reserven – rechnerisch zu prüfen, ob die Aktiva die Passiva decken. Bei einem negativen Vermögensausweis ist – wie bisher auch – pflichtgemäß Insolvenzantrag zu stellen.

II. Voraussetzungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose – Fortführung

Der Gesetzgeber verweist zur Wahrscheinlichkeitsprognose – Fortführung – auf die Rechtsprechung vor Inkrafttreten der InsO und stellt heraus, dass die Finanzkraft des Unternehmens nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig zur Fortführung des Unternehmens ausreichen muss. Wenn auch die Rechtsprechung das Kriterium der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ nicht exakt definiert, ist insoweit anerkannt, dass sich eine Fortführungsprognose auf zwei Faktoren zu stützen hat.

  • Beurteilung von Fakten
  • Einschätzung zukünftiger Entwicklungen der Gesellschaft
  • Darstellung der Absatz- / Gewinnchancen für die Unternehmensleistung unter Berücksichtigung der unternehmensrelevanten und der allgemeinen Wirtschafts- / Marktverhältnisse

Grundlage der Prognose ist eine, nach betriebswirtschaftlichen Regeln, schriftlich zu erstellende, tragfähige und substanziell zu begründende

  • Finanzplanung ergänzt durch
  • Plan-, Gewinn-, Verlustrechnung
  • Planbilanz

Darzustellen ist die voraussehbare Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft für das laufende und mindestens das folgende Geschäftsjahr. Eine Überschuldung der Gesellschaft liegt demnach grundsätzlich nur dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten, unter Einbeziehung stiller Reserven, die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Geschäftsführer / Vorstände sind also gehalten, sich der Unternehmensplanung, der regelmäßigen Kontrolle und deren jeweiliger schriftlicher Dokumentation mit ganz besonderer Sorgfalt zu widmen. Die Lage der Gesellschaft ist kontinuierlich fortdauernd zu beobachten. Als Mindestanforderung an ein sorgfältiges kaufmännisches Verhalten ist zu verlangen, dass eine Finanz- und Ertragsplanung fortlaufend geführt und regelmäßig zeitnah aktualisiert wird. Bei Anzeichen für eine Krise kann eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden, um zu prüfen, ob eine rechnerische Überschuldung vorliegt. Es kann aber auch nur eine Fortführungsprognose erstellt werden, denn bei positivem Ergebnis liegt keine Überschuldung vor. Die Fortführungsprognose ist zu einem wesentlichen Teil eine Zahlungsfähigkeitsprognose.

Zahlungsfähig ist, wer mindestens 90 Prozent seiner fälligen Verbindlichkeiten während der Planungsperiode (mindestens zwei Jahre) regelmäßig drei Wochen lang bedienen kann.
(siehe BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04 -)

Kann eine entsprechende substanzielle Prognose nicht für den gesamten Planungszeitraum dargestellt werden, kommt es selbst dann auf den Überschuldungsstatus an, wenn das Unternehmen zu dem Zeitpunkt der Aufstellung desselben „noch“ zahlungsfähig ist.

III. Darlehen der Gesellschafter in dem Überschuldungsstatus

Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts (MoMiG) ist die sehr komplex gewordene Materie des Eigenkapitalersatzrechts (§§ 30 ff. GmbHG) erheblich vereinfacht und grundlegend dereguliert worden. Es wird nicht mehr zwischen „kapitalersetzenden“ und „normalen“ Gesellschafterdarlehen unterschieden. Gesellschafterdarlehen sind gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO generell als nachrangige Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus auszuweisen, können damit also zu einer Entstehung oder Erhöhung der Überschuldung beitragen. Den Ausweg (allgemein und nicht nur für die GmbH) bietet § 19 Abs. 2 InsO. Danach entfällt die Verpflichtung zur Erfassung, wenn Gesellschaft und Gesellschafter ausdrücklich einen Rangrücktritt hinter die nachrangigen Verbindlichkeiten vereinbart haben.

IV. Haftungsproblematik

Die Organe einer überschuldeten Gesellschaft bleiben auch unter der aktuellen Gesetzeslage verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Fortführung des Unternehmens nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Verletzungen der Antragspflicht führen wie bisher zu strafrechtlichen Sanktionen und zivilrechtlichen Haftungen wegen Insolvenzverschleppung. Ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (51 Prozent) für die Fortführung des Unternehmens prognostiziert werden durfte, ist eine rein beweisrechtliche Frage. Lässt sich diese Frage nicht eindeutig zur Überzeugung des Gerichts beantworten, ist im Zweifel Überschuldung anzunehmen. Den Entlastungsbeweis müssen die
Organe der Gesellschaft führen. Ihnen obliegt die Beweislast, dass sie vorausplanend eine Unternehmensfortführung prognostizieren durften. Nachträgliche Erkenntnisse sind unerheblich. Den Organen ist mithin dringend anzuraten, die Prüfung der Überschuldung detailliert zu dokumentieren und gegebenenfalls Sachverständige in die Aufstellung der Fortführungsprognose einzubinden. Ist Insolvenzreife gegeben, ist ein Insolvenzantrag spätestens innerhalb drei Wochen nach Eintritt (nicht nach Feststellung) zu stellen
(§15a InsO).

Fazit

Der Gesetzgeber hat nicht nur neue Handlungsspielräume eröffnet. Korrespondierend dazu sind die Verantwortlichkeiten der an der Krisenanalyse / Sanierungskonzeption Beteiligten gestiegen. Nicht nur die substanziell zu begründende Prognoseplanung muss unter Einbeziehung der Marktentwicklungstendenzen überzeugend schriftlich dargestellt werden. Die regelmäßige Kontrolle ist nicht nur zu etablieren, sondern ebenfalls zu dokumentieren.

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